Wie man mit dem Rheinländer kommuniziert

 

Das Rheinländertum ist ein komplexes Gebilde,

dem nicht leicht beizukommen ist. Mit einem

einfachen Trick ist es dennoch möglich, dem rheini-

schen Wesen auch ohne Vorerfahrungen auf die Schli-

che zu kommen. Stellen Sie sich einfach einen etwas

distanzierten, aber verbindlichen Hanseaten mit guten

Manieren vor, der seine Worte stets wohl abwägt und

seine Gesprächspartner zu Wort kommen lässt. Ver-

kehren Sie dieses Bild dann ins genaue Gegenteil. Und

voilà: Sie haben sich einen imaginären Rheinländer ge-

bastelt.

1.Kontaktaufnahme

Die Kontaktaufnahme mit dem Rheinländer oder der

Rheinländerin ist denkbar einfach zu bewerkstelligen.

Es genügt die bloße physische Anwesenheit Ihrer Per-

son. Mehr wird nicht erwartet beziehungsweise gar nicht

geduldet.

2.Das Gespräch

Als die Wissenschaft Kommunikation als Übertragung

einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger

definierte, hat sie diese Rechnung ohne den Rheinländer

gemacht. Rheinische Kommunikation kommt nämlich

vollkommen ohne Empfänger aus, weil dem Rheinländer

die technischen Vorraussetzungen dazu fehlen. Er hat we-

der ein Empfangsgerät noch einen Knopf zum Ausschal-

ten, dafür hält die Batterie des Senders aber ziemlich lange.

Insofern ist der Werbespruch »Kölner lassen keinen

allein«, den sich die dortigen Verkehrsbetriebe einmal

als Reklame für Zivilcourage hatten einfallen lassen, als

ernst gemeinte Drohung zu verstehen. Trotz begrenzter

Reichweite und noch begrenzterem Repertoire besitzt der

Rheinländer von Geburt an die Lizenz für ein 24-stün-

diges Vollprogramm ohne jeden Bildungsauftrag, das

mündlich an den Mann gebracht werden muss. Da bleibt

natürlich wenig Zeit für anderes.

Der Rheinländer haut heraus, was ihm gerade im Kopf

herumkrautet. Wie ein Pelikan, der den ganzen Tag Fi-

sche aus dem Meer geangelt hat, trägt der Rheinländer

den Schnabelsack voller Anekdötchen, Beobachtungen,

Krankengeschichten und sonstiger vertraulicher Informa-

tionen mit sich herum, die dringend in die Welt hinaus-

posaunt werden müssen, weil dieser Schnabelsack persön-

licher Weltbetrachtung sonst platzen würde.

Hat der Rheinländer ein trockenes Plätzchen gefun-

den, zum Beispiel im Wartezimmer auf dem Platz ne-

ben Ihnen, tut er den Schnabel auf und würgt liebevoll

Halbverdautes hervor. Ob diese Informationshäppchen

wirklich für fremde Ohren geeignet sind, ist ihm dabei

vollkommen wurscht. Der Skandal um die Veröffentli-

chungen auf Wikileaks ist im Rheinland deswegen gar

nicht verstanden worden. Hierzulande gilt es als vollkom-

men normal, Wildfremden ungebeten Bettgeschichten

der Nachbarn oder die eigene Finanzmisere auf die Nase

zu binden. Allerdings bleibt das Gesagte meist folgenlos,

weil ja wieder kein Empfänger zugeschaltet war.

Das Verb »reden« wird im rheinischen Dialekt

schwaden genannt und genauso klingt es auch.
Wie alter Tabakdunst bleibt dasGeschwadetein der Luft
stehen, kann aberwesentlich gravierendere Gesundheitsschäden
hervorrufen, wenn es sich im Hirn derPassivschwader
absetzt, wo es sofort zähe, schwarze Placken,
die sogenanntenSchwaderlappen, bildet.

  1. Was tun bei Kommunikationsbefall?

Hat sich der Rheinländer erfolgreich an seinem Gesprächs-

opferfestgeschwadet, kann er nur noch operativ entfernt

werden. Oftmals sieht man ahnungslose Rheinlandrei-

sende, wie sie denschwadenden Rheinländer mit Klebstoff

oder Öl zu beträufeln versuchen, damit er von ihnen abfällt.

Dies wird aber nicht gelingen, sondern führt nur dazu, dass

die Kommunikationsporen des Rheinländers verstopfen,

was ihn unweigerlich zum Platzen bringen wird.

Packen Sie den Rheinländer stattdessen beherzt an

Armen und Beinen, heben Sie ihn in die Waagerechte

und drehen Sie ihn im Uhrzeigersinn aus dem Wirt her-

aus. Dabei ist zu beachten, dass die Mundwerkzeuge des

Rheinländers nicht im Opfer stecken bleiben.

4.Wirksame Gegenmaßnahmen

a)Tarnung

Erfahrene Rheinlandreisende führen stets eine Schau-

fensterpuppe mit integrierter Nickfunktion im Hand-

gepäck mit sich, die einen Großteil der Kommunika-

tion abfangen kann. Im Notfall reicht aber auch ein

Strohsack mit aufgemaltem Gesicht. Diese

Nubbel genannten Geschöpfe werden im Rheinland
nicht nur als Gesprächspartner, sondern während
des Karnevals auch als moralische Instanz geschätzt.

b) Gegenangriff

Einmal unter den Beschuss rheinischen Geschwaders

gekommen, sollten Sie ohne Umschweife zum Gegenan-

griff übergehen, auch wenn das zunächst grausam klingt.

Denn wer nicht sofort zurücklabert, hat schon verloren.

Übung für Fortgeschrittene

Steigen Sie am späten Nachmittag in die Linie 16 zwi-

schen Hersel und Uedorf und sprechen Sie einen der

zahlreichen Rentner, die Sie leicht an den beigefarbenen

Windjacken erkennen können, mit den Worten
»Ming Schwaacher hätt uch Krepps« (»Mein Schwager ist
ebenfalls krebskrank«) an. Dies gilt als unverfänglicher
Gesprächsauftakt und wird unverzüglich mit Gegen-
informationen zu vielfältigen Themengebieten wie Wetter,
Politik oder Sport beantwortet werden. Sie werden sehen,
wie schnell Sie in ein interessantes wie surreales Happening
verwickelt werden, an dem auch Samuel Beckett seine helle

Freude gehabt hätte.

Bald werden alle Rentner die Häupter recken und

munter durcheinander keckern wie eine Kolonie beige-

grauer Pinguine bei der Fütterung. Sobald Sie jedoch aus-

steigen, werden die putzigen Gesellen ihre Köpfe wieder

schweigend ins Gefieder stecken. Ein fantastisches Natur-

schauspiel auch für den kleinen Geldbeutel

(Einzelfahrt für 2,50 Euro).

Die Gegenfrage

Fällt dem Rheinländer ausnahmsweise nichts ein oder

fühlt er sich aus sozialen Gründen gezwungen, Interesse

an seinem Gesprächspartner zu heucheln, hat er die Mög-

lichkeit, mit wahllosen Gegenfragen einen Gesprächsfluss

zu simulieren. Diese Form der Scheinkommunikation fin-

det man vor allem bei Strafgefangenen, Comedyduos oder

Ehepaaren vor, die damit die Zeit ihrer Zwangsgemein-

schaft zu verkürzen suchen. Der hier angerissene Beispiel-

dialog wurde in den Jahren 1973–86 vom Ehepaar Fritz

und Helma Hartmann aus Köln-Sülz geführt und gilt als

einer der längsten Dialoge, die je über ein undichtes Kü-

chenfenster geführt wurden. Er entspann sich ob der Be-

merkung der am Tisch sitzenden Helma Hartmann, dass

es von hinten doch arg zöge.

Sie:   »Isch mein, et wör am trecke von hinge.«

 Er:   »Am trecke?«

 Sie:  »Joh, dat.«

 Er:  »Vun hinge?«

Sie:  »Joh, dat.«

 Er:    »Meense?«

Sie:  »Isch mein: Joh.«

 Er:  »Dat et am trecke wör?«

Sie:  »Joh, joh.«

Er:  »Vun hinge?«

Und so fort. Der Dialog endete am 17. Dezember 1986

mit den Worten

»Normal mööt dat äwwer nit am trecke sing«

und dem abrupten Tod ihres Sprechers Fritz Hart-

mann aufgrund von Unterkühlung. Daraufhin beschrieb

Helma Hartmann wortreich den eingewachsenen Zehen-

nagel ihrer Schwester und zog anschließend einen Hand-

werker für das Küchenfenster und dann einen Bestatter für

ihren Mann zurate. In übrigens exakt dieser Reihenfolge.

Die rheinische Königsdisziplin – der Monolog

Wie wir gesehen haben, wird Kommunikation im Rhein-

land vor allem als Aufforderung zum Monolog verstan-

den. Der Rheinische Monolog folgt dabei weniger dem

Modell Shakespeares, bei dem er die Haupthandlung ein-

zuleiten pflegt, sondern dem Modell der Büttenrede, die

lediglich eine Pinkelpause anzeigt.

Man stellt sich zum Monolog an möglichst prominen-

ter Stelle auf und verquirlt Aufgeschnapptes mit Selbst-

erlebtem oder Erfundenem, würzt es mit ein paar gut ab-

gehangenen Vorurteilen und uralten Pointen und kommt

zu einem möglichst sentimentalen Schluss.